(Rinteln) Am Samstag fand eine große, einstündige Friedenskundgebung angesichts des Ukraine-Krieges auf dem Rintelner Marktplatz statt.
Die Polizei zählte zur Spitzenzeit bis zu 300 Teilnehmer, so Polizeichef Jörg Stuchlik.
Die Eröffnung nahm Bürgermeisterin Andrea Lange vor. „Unsere Häuser sind unversehrt, unsere Verbindungswege funktionieren, unser Wirtschaftsleben funktioniert“. Aus der Ukraine sehe man Bilder von zerstörten Gebäuden und Menschen, die in Kellern und U-Bahn-Schächten Schutz vor Bomben suchen. Sie müssten alles zurücklassen und fliehen. Seit dem 24. Februar sei es „schreckliche Wahrheit“, so die Bürgermeisterin, „der Krieg ist zurück in Europa“, nur 1.650 Autokilometer oder zwei Flugstunden entfernt.
Man teile die unerschütterliche Hoffnung mit den Menschen in der Ukraine, erklärte Lange. Ein solcher Bruch des Völkerrechts wie er mit dem Krieg in der Ukraine seit dem 24. Februar passiere, sei eine Erschütterung der Grundfesten der freien Welt. „Der Angriffskrieg Putins schlägt nicht nur der Geschichte ins Gesicht, sondern auch der Menschlichkeit, stoppen Sie sofort alle Kriegshandlungen“, forderte Lange.
Täglich würden Anrufe und E-Mails mit Hilfsangeboten eingehen. Die Solidarität mit den Rintelnern mit den Menschen aus der Ukraine sei riesig, doch der Bedarf sei es auch. Die Verwaltung der Weserstadt bereite sich seit dem letzten Wochenende auf die Unterbringung Geflüchteter vor. Dafür brauche es ausreichend Wohnraum, um Unterstützung aus der Bürgerschaft werde gebeten.
Niedersachsen strebe eine zentrale Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine mit anschließender Verteilung auf die Kommunen an. Unklar sei noch, wie viele Menschen in den Landkreis und nach Rinteln kommen werden. Eine dezentrale Unterbringung werde befürwortet. Bürger hätten sich bereits gemeldet, die privaten Wohnraum zur Verfügung stellen möchten.
Unter der E-Mail-Adresse integration@rinteln.de kann Kontakt mit der Verwaltung aufgenommen werden. Weitere Informationen sind auf der Internetseite der Stadt Rinteln sowie telefonisch unter 05751 403-433 erhältlich.
Es sei ein Lichtblick in diesen schweren Tagen, dass sich so viele Menschen in Rinteln und der Welt zusammengeschlossen hätten, sagte Lange. Man könne den Ukrainern die Last nicht komplett abnehmen, nur mittragen helfen. Dazu beziehe man Position, dass Angriffe auf die Menschenrechte und demokratische Prinzipien nicht hinnehmbar seien: „Diese Werte müssen wir verteidigen“.
Superintendent des Kirchenkreises Grafschaft Schaumburg, Christian Schefe, berichtete von einem Gespräch mit seinem Großvater, der in diesen Tagen 100 Jahre alt geworden wäre. Vor 80 Jahren sei dieser im Krieg in Tschernobyl gewesen, die Ereignisse hätten ihn geprägt. 19 von 21 Kameraden seiner Einheit seien gefallen, beide Brüder auch. „Lass Dich nicht verführen, andere Menschen zu hassen“, lautete der Rat des Großvaters an seinen Enkel. Obwohl er ein einfacher Mann gewesen sei, habe er dennoch gewusst: „Das wichtigste was wir tun können, ist Brücken bauen“. Daher appellierte Schefe daran, Brücken zu bauen für die Leidenden, Flüchtlinge und Menschen in Russland, die den Mut hätten, sich gegen den Krieg auszusprechen:„Was vor uns liegt, ist kein Sprint, sondern ein Dauerlauf.“
„Rinteln steht zusammen für den Frieden“, formulierte Pastor Dr. Dirk Gniesmer die Botschaft der Kundgebung. Von Michail Gorbatschow stamme der Satz „an den Frieden denken, heißt, an die Kinder denken“, erinnerte Gniesmer an Kinder, die mit Müttern stundenlang in der Kälte an Grenzübergängen und in U-Bahn-Stationen ausharren würden – nicht wissend ob sie ihre Väter jemals wiedersehen. Krieg in Europa sei keinesfalls neu, sagte der Pastor und erinnerte an die vielen tausend Toten in Zypern, Berg-Karabach, Ex-Jugoslawien, Tschetschenien, Kosovo, Georgien, Armenien und seit 2014 die Ukraine. Alle Kampfhandlungen müssen sofort gestoppt werden, alle Besatzer müssen sich bedingungslos und vollständig aus dem Land zurückziehen – so fordere es die UN-Resolution.
„Realistisch aber ist, dass das Land von Putin in Schutt und Asche gebombt wird, und dann ist Schluss.“ Man habe es kommen sehen und es doch nicht fassen können, als es passiert sei, so Gniesmer. Man habe „Ohnmacht und Fassungslosigkeit“ beim Friedensgebet verspürt, sagte er. Doch trage jedes noch so kleine Tröpfchen – wie in Rinteln – zu einer großen Welle der Solidarisierung mit der Ukraine bei: „Rinteln steht ein für den Frieden“.
Nicht die NATO sei Putins wirkliche Angst, sondern die Demokratien, die ihm zu nahe gekommen seien, befand Gniesmer. Der Funke der Freiheit sei in Osteuropa von einem Staat zum nächsten übergesprungen. „Putin kennt die Schwachstellen der Demokratie und er wird sie gnadenlos für sich nutzen.
Steigende Energiepreise, Einbruch der Wirtschaftsleistung, eine hohe Zahl von Flüchtlingen, Angst vor einer Ausweitung des Krieges, die Debatte um Waffenlieferungen“, zählte Gniesmer auf und erklärte, dies seien Einfallstore für eine offene Gesellschaft, in der Rechtspopulisten nur darauf warten würden, dass eine Gesellschaft unzufrieden würde, „dieser Krieg wird die freiheitliche Gesellschaft in Europa auf eine harte Probe stellen“. Europa würde allerdings nicht geschwächt, sondern gestärkt.
Die Geflüchtete Larissa berichtete, dass sie vor drei Jahren zum ersten Mal in Rinteln war. Jetzt sei ihre Heimatstadt Charkiw in der Ukraine von Raketen zerstört. Als der Krieg begonnen habe, habe man am 25. Februar den Entschluss gefasst, mit dem Zug in Richtung Grenze zu fliehen, dann in Richtung Slowakei, dann über Prag und Berlin nach Hannover. Sie bedankte sich bei den Menschen, die sie eingeladen hat, berichtete aber über Sorgen und ein Telefonat mit einer Freundin, die ihr geschildert habe, dass die Stadt Charkiw fast völlig zerstört sei. „Es ist für mich wie ein Film. Ich sehe Fotos und Videos aber ich verstehe nicht, wie das sein kann“, sagte sie.