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Kadosch und ein ganz normaler Donnerstag – eine Liebeserklärung

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La Ciutat,Ostern 2015: Auf dem Borne präsentieren sich Kindergärten, Kindertagesstätten und Privatschulen mit lustigen Zelten und Buden, die Parkplätze am Passeig Maritim sind durch streikende Müll- und Abbruch-Muldenlastwagen blockiert, die geliebte Melodie der Stadt wird nur durch vereinzeltes, penetrantes Hupen Ungeduldiger unterbrochen.

Auf dem Trottoir der Bar Bosch sitzt „tout“ Palma und genießt die Abendstimmung. An den Tischen werden wild gestikulierend Alltagsprobleme besprochen. Alles schaut kurz auf, als die Harley mit 130 Dezibel Potenz meldend, kurze Gasstöße abgibt.

Großmütter empfangen ihre zum Kätzchen geschminkten Enkel, Tauben suchen unter den Tischen nach verwertbarem Futter. Deutsche, englische, französische und gutturale, mallorquinische Laute übertönen den Verkehrslärm.

Der Kellner mit seiner langen, weißen Schürze schlängelt sich durch die Tischreihen, die längst ihre ursprüngliche Ordnung verloren haben, hier einen Carajillo, dort eine Copa de tinto. Es werden Ansichtskarten geschrieben, Adressen ausgetauscht, Enkelkinder bewundert. Hin und wieder ertönt ein anerkennender Pfiff, wenn ein Mädchen vorbeigeht das in engen Lederhosen und high heels ihre Vorzüge zur Schau stellt.

(Foto: privat)
(Foto: privat)

Um 19 Uhr werden die obligatorischen Sonnenbrillen abgenommen; nur die „ganz besonders coolen“ Typen verstecken ihre Augen vor den Gesprächspartnern.

Geschirr klappert, Gästeaugen suchen Kontakt zu den Augen des Kellners, bezahlen, nachbestellen, überhaupt Aufmerksamkeit zu erreichen, denn irgendetwas wird immer benötigt.

Die Luft wird kälter, Jacken dominieren jetzt an den Tischen, vorbei mit der lockeren anregenden, leichten Bekleidung. Ein Kissen im Rücken wäre jetzt auch nicht schlecht, könnte man dadurch doch länger sitzen bleiben und – wichtig! – länger gesehen werden.
Das gesamte Publikum hat gewechselt; jetzt kommen die ersten Alleinstehenden, um zu schauen, ob schon etwas los ist, ob man sich nicht für den Abend zum Essen, zum Bummeln oder sonst etwas verabreden könnte.

Die Baumaschinen werden abgestellt, Hungergefühl verbreitet sich – Zeit zum Abendessen; doch leider ist das „Caballito de Mar“ dem Sanierungswüten zum Opfer gefallen – wohin heute? Wird es zum Herbst wieder geöffnet haben? Bloß nicht schon wieder ein neues Stammlokal suchen müssen!

Prospektverteiler, Aktentaschen tragende, distinguierte Herren tauchen auf, die Touristen werden weniger, Spanisch und Mallorquin dominiert an den Tischen.

Zu wuscheligen, kleinen grünen Bällchen werden jetzt im spanischen Frühsommer die Blätter der arg gestutzten Platanen – auch hier kommt der Sommer mit Macht.

Mittlerweile ist der gesamte Boden mit Kippen, halbleeren und leeren Zuckertüten übersät, als gäbe es in Spanien kein öffentliches Rauchverbot, das Lachen der Gäste wird lauter – vom Wein? Immer wieder treffen sich Menschen und begrüßen einander, oft eine Spur zu laut. Man wurde wieder einmal gesehen und gehört – muy importante!

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Nebenan, bei McDonalds boomt das Abendgeschäft und bei C&A kommt jetzt kaum jemand ohne Tüte heraus. Die alleinstehende junge Dame am Nebentisch wartet ein wenig länger auf die Bedienung. So ist das eben noch immer in Spanien.

Niemand schenkt dem in der Mitte des Platzes auf vier Schildkröten ruhenden Obelisken Aufmerksamkeit, nur ein Hund hebt kurz das Bein. Im Kosmetikgeschäft nebenan hat der Fernseher mit seiner Werbebotschaft längst den Geist aufgegeben. Er flimmert unnütz und ein wenig dekadent im Schaufenster vor sich hin.

Die junge Dame gegenüber nimmt Augenkontakt auf und bestellt, endlich! Sie wurde immer noch nicht bedient und verzieht schon leicht die Mundwinkel – Zweitaktmotorengeruch weht herüber von der Straße.

19 Uhr 50, der letzte Tourist ist gegangen, jetzt kommt der Kellner erneut an ihren Tisch und fragt, ob er die Bestellung von vorhin auch wirklich ausführen soll. Sein Unterton ist geringschätzig – sie lächelt. Die Müllmänner leeren die Abfallkörbe, zwei Polizisten patrouillieren gelangweilt vorbei.

Der „shoe-shine-boy“ hat Konjunktur, schon der dritte Gast zeigt seine Wichtigkeit, indem er den älteren Mann vor sich knien läßt, um seine verstaubten Schuhe vor aller Welt reinigen zu lassen. Je herablassender sein Kunde ist, je höher ist sein Preis. Der „Lackaffe“ zwei Tische weiter soll zahlen, 4 Euro für seine Schuhe. Großzügig gibt er den ganzen Fünfer – haben das auch alle gesehen?

Die junge Dame hat endlich ihr bestelltes Sandwich und beißt genüßlich in das Schinkencroissant. „Que approveche!“ tönt es von den anderen Tischen. Ein dankbares Lächeln wandert von ihrem Tisch zurück.

Der neue Kellner nach dem Schichtwechsel ist sehr freundlich und redet viel mit seinen Gästen. Je jünger und hübscher die Frauen, je freundlicher sein Lächeln, sein Tonfall.
Im Café ist mittlerweile die hervorstechendste Geste der Kundschaft die Hand mit dem Handy am Ohr. Überall sind an den Tischen schon erste Kontakte geknüpft. Eine Gruppe Amerikaner fällt lautstark ein, der Zauber ist verschwunden.

Ein Straßensänger singt „Libertad te quiero“ und erhält statt mit Beifall für sein kämpferisches Lied aus der Zeit der Diktatur, Bestrafung durch Ignoranz. Das Lied ist 60 Jahre alt und paßt nicht mehr in die heutige Zeit der fun-Gesellschaft – Unverständnis bei den Jüngeren. Sein Beutel bleibt leer – armer Hund!

Es wird kühl, Zeit in ein Restaurant zu gehen, auch ich bin hungrig.

Gute Nacht Palma!
Euer Kadosch

Kleine Spanisch Kunde:
La Ciutat – so nennen die Mallorquiner ihr Palma
Borne – Flaniermeile in Palma
Passeig Maritim – Hafenstrasse
Carajillo – «kleines Herzchen» Espresso mit Cognac ½ und ½
Copa de tinto – Gläschen Rotwein
muy importante! – sehr wichtig!
shoe-shine-boy – Schuhputzer
Que approveche! – Guten Appetit
Libertad te quiero – „Freiheit, ich liebe Dich“, kämpferisches Lied aus dem Bürgerkrieg

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