Nahezu jeder hat schon mal eine Karussellfahrt auf der Rintelner Messe mitgemacht. Vielen ist die Kirmesatmosphäre noch aus Kindestagen in Erinnerung, als man von den Großeltern Messegeld geschenkt bekam und es in Fahrten im Autoscooter, Musikexpress oder dem Riesenrad investierte. Und so mancher dürfte sich – damals wie heute – gefragt haben, wie es eigentlich hinter den Kulissen der Fahrgeschäfte und Aussteller so aussieht. Eine Gruppe von Interessierten konnte jetzt erstmals unter der Führung von Schaustellersprecher Marlon Klaasen einen „Backstage“-Blick hinter Verkleidungen, Hydraulikschläuche, riesige Motoren und interessante Technik werfen.
Das Schaustellergeschäft wird oft seit Generationen betrieben. So auch im Fall des denkmalgeschützten Riesenrads, das als fester Bestandteil der Rintelner Messe nicht mehr wegzudenken ist. Besitzer Jörg Lotte samt Familie und Messeteam fährt mit dem Riesenrad kreuz und quer zu Jahrmärkten in ganz Deutschland. Über 20 feste Termine stehen pro Jahr in seinem Kalender, hinzu kommen Anfragen für Fernsehproduktionen und Sonderveranstaltungen. Das 14 Tonnen schwere Riesenrad verfügt über mehr als 600 Schrauben, besitzt 11.000 Glühlampen (die inzwischen auf LED-Technik umgerüstet wurden) und wird mittels eines sogenannten „Salzanlassers“ reguliert. Metallzinken sind am Deckel eines mit Salzwasser gefüllten Fasses angebracht. Über einen Seilmechanismus wird die Eintauchtiefe der Metallnasen ins Wasser verändert – fertig ist die Motorregelung des Riesenrads, das sich mit bis zu 12 Umdrehungen pro Minute drehen kann.
Nur wenige Meter weiter, flankiert von köstlich duftenden Essensbuden, steht der imposante „Wellenflug“, das Kettenkarussell der Schaustellerfamilie Blume. Bevor auch hier die „Testfahrt“ stattfindet, erklärt Sohn Maikel die Besonderheiten dieses Hinguckers auf dem Rintelner Marktplatz. Das Geheimnis steckt in der 19 Meter hohen Mittelsäule des Fahrgeschäfts. Am Ende des abgeknickten Mastes befindet sich ein Hydraulikstempel. Mittels Seilen wird der obere Teil des Karussells in die Höhe gehoben. Das schnell drehende Oberteil und der langsam in entgegengesetzter Richtung drehende Mast ergeben die charakteristische Wellenbewegung. Nicht immer sitzen die Fahrgäste einzeln oder in Paaren in den Sitzkörben. Als einmalige Konstruktion zeigt Blume junior den Fünfer-Kombisitz, eine Spezialkonstruktion mit erheblichem Aufwand, bei dem fünf Gäste in Kreisform Platz nehmen können. Bei so vielen beweglichen Teilen muss regelmäßig gewartet und getauscht werden. Alle zwei Jahre sind neue Hydraulikschläuche und Seile fällig. In diesem Jahr wurden die kompletten Kettensätze ausgewechselt. Kosten: Rund 20.000 Euro.
Auf dem Kirchplatz steht „Jump Street“, ein Fahrgeschäft von Marlon Klaasen und seiner Familie. Hier werden die Besucher in einer Gondel mit kreisförmigen Bewegungen in die Luft befördert. Am höchsten Punkt entsteht durch die Gesetze der Physik ein Gefühl von Schwerelosigkeit. Das 23-Tonnen-Konstrukt ist clever konstruiert und besitzt einen eingebauten Trailer, der ans Zugfahrzeug gekoppelt wird. Viele Elemente werden mittels Hydraulik einfach aufgeklappt, den Rest erledigen Monteure in Handarbeit. Das macht den Auf- und Abbau mit einer Dauer von zwei bis drei Stunden extrem zeitsparend. Weitere Station am Kirchplatz: Das 7D-Kino. Mit geschickter Kombination aus 3D-Film und einer beweglichen Sitzplattform mit Wind, Vibration und plötzlichen Kipp- und Rütteleffekten wird eine Achterbahnfahrt mit bis zu 200 Metern im freien Fall simuliert. Und nach einem Selbstversuch können wir bestätigen: Die Sicherheitsgurte dienen nicht nur der Dekoration!
Damit die vielen Stände und Buden immer am optimalen Platz stehen, bedarf es einer gründlichen Vorarbeit und Planung durch die Stadt Rinteln. Klaasen lobte die logistische Meisterleistung, die zu jeder Messe vollbracht werde und die Einhaltung von Rettungs-, Flucht- und Feuerwehrwegen in der Innenstadt. Getreu dem Motto „vor der Messe ist nach der Messe“ beginnen nämlich nach Abbau der Herbstmesse bereits die ersten Planungen für die Maimesse 2019, erklärte der Schaustellersprecher. Am Steinanger sind die Wohnwagen der Schausteller untergebracht, die Stadtwerke sorgen für die Infrastruktur aus Strom und Wasser. Durchfahrtsgenehmigungen, Streckenplanung, die Reihenfolge der aufzubauenden Stände, Anreise – bis sich die ersten Karussells drehen können, muss eine Menge passieren.
So wie auch beim „Break Dance“, der letzten Station beim Blick hinter die Kulissen. Hier erwartet die Teilnehmer sogar ein Blick ins Verborgene, unter die Plattform, auf der sich alles abspielt. Die Fahrgäste sitzen in Zweier-Kabinen und werden mit hoher Geschwindigkeit um mehrere Achsen gedreht. Nichts für schwache Mägen, doch gerade diese hohen Fliehkräfte machen für Fans den Reiz aus. Die Drehbewegungen werden mit verschiedenen Motoren realisiert, der Break Dancer verfügt über rund 160 Kilowatt Gesamtleistung. Damit alles sicher abläuft, müssen sämtliche Karussells vor Inbetriebnahme einer umfangreichen Prüfung unterzogen werden. Hinzu kommen Sonder- und Materialprüfungen, die weltweit einmalig sind und dank der Sicherheit auf Jahrmärkten in Deutschland auf höchstem Niveau gegeben ist, erklärt Klaasen. Der Messerundgang mit Blick hinter die Kulissen ist bei den rund 20 Teilnehmern sehr gut angekommen. Eine Wiederholung im nächsten Jahr ist somit nicht ausgeschlossen.