(Rinteln) Auch bei Wind und Regen gibt es jede Menge zu erzählen. Selbst Schnee im März kann den Nachtwächter nicht davon abhalten, mit seiner Laterne und Holzschuhen ausgerüstet, an jedem ersten Dienstag eines jeden Monats auf einer ausgedehnten Runde durch das nächtliche Rinteln Wissenswertes aus der Geschichte zu verbreiten.
Stilecht in ein antik anmutendes Gewand gehüllt und mit dem Multifunktionswerkzeug der damaligen Zeit, genannt „Hellebarde“ ausgerüstet, führt Ralf Schymon durch die engen Altstadtgassen der Weserstadt. Die Hellebarde erinnert an eine Mischung aus Beil und Speer. Tatsächlich hielt sich der Nachtwächter damit seinerzeit finstere Gestalten vom Leib, da leistete das rund zwei Meter lange Stück gute Dienste. Auch beim Einreißen von brennenden Gebäudeteilen leistete es gute Dienste. Der erstaunte Teilnehmer erfährt nämlich, wofür der Nachtwächter ingesamt so zuständig war. Darunter fallen Bereiche, die auch heute sind. So etwa der Brandschutz. Feuerlöscher gab es in den Häusern nicht, aber wassergefüllte Eimer waren Pflicht. Die Kontrolle übernahm der Nachtwächter. Wer sich nicht daran hielte, musste mit Strafen rechnen. Ebenso wie Leute, die sich während der nächtlichen Sperrstunde in der Stadt bewegten. Kriminelle wurden „unter die Treppe“ gesetzt. Den Ort gibt es noch heute, er befindet sich auf der rückwärtigen Seite des Ratskellergebäudes, einst das Rathaus der Stadt Rinteln.
Beim nächtlichen Rundgang mit Ralf Schymon, einem der beiden Rintelner Nachtwächter, erfahren nicht nur Neu-Rintelner und Touristen jede Menge über das Rinteln aus vergangenen Tagen. Die rund 90-minütige Veranstaltung, die vom Stadtmarketingverein Pro Rinteln organisiert wird, ist auch Einheimischen wärmstens ans Herz gelegt. Die können währenddessen lernen, dass die heutige Fußgängerzone nicht die Hauptverkehrsader von damals ist. Der Nachtwächter verrät auch, was das Besondere an Marktplätzen ist, wieso die Frühjahrs- und Herbstmessen in Rinteln zeitlich nicht mit den Veranstaltungen der meisten umliegenden Städte kollidieren und welche Schutzmaßnahmen die Ackerbürger getroffen haben, um Beschädigungen ihrer Häuser durch landwirtschaftliche Fahrzeuge zu verhindern.
Woher hat die „Pomeranzengasse“ ihren Namen und was hat es mit der Rintelner Universität und der Hexenverfolgung auf sich? Wieso trägt der Nachtwächter einen speziellen Schlüssel mit sich und warum handelt es sich bei seinem Beruf um eine „unehrenhafte“ Tätigkeit? Erfrischendes und Heiteres fördert der Nachtwächter ebenso zu Tage wie die Antwort auf die Frage, weshalb man zu jener Zeit nach einem Stadtfest nie zu nah an einem Gebäude entlang gehen sollte. Diese und viele weitere, wissenswerte Details verrät der Nachtwächter auf jedem seiner nächsten Rundgänge.
Nur soviel sei gesagt: So manches scheinbar brandneue Thema ist gar nicht so aktuell. Der Nachtwächter war einst auch für die Straßenbeleuchtung zuständig. Die Laternen zündete er mit Anbruch der Dunkelheit an. Eine politische Diskussion, ob sie in der Nacht brennen sollten, erübrigte sich, denn Energie war auch zu damaliger Zeit teuer und sparen war angesagt. Zur Sperrstunde erloschen die Straßenlampen daher, es hatte sich niemand mehr ohne triftigen Grund im Freien aufzuhalten. Darüber wachte der Nachtwächter. (vu)