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Mut zum Hinsehen: Gewalt ist das Übertreten einer Schwelle – Infoveranstaltung im Familienzentrum

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Dirk Scheerle, Polizeizeichner beim Landeskriminalamt Niedersachsen, Familienrichterin Gönna Freifrau von Blomberg (AG Stadthagen), Thomas Weishaupt vom „Weissen Ring e.V.“ und Werner Keding aus Diepholz als betroffener Vater eines vor 15 Jahren ermordeten, 20-jährigen Sohnes, standen jetzt im Familienzentrum nach einem Impulsvortrag Rede und Antwort für Fragen der interessierten Zuhörer. Unter dem Motto „Mut zum Hinsehen“ fand diese Veranstaltung im Rahmen der Ausstellung „Opfer“ statt, die noch bis zum 4. Juli in der Sparkasse Schaumburg in der Klosterstraße zu sehen ist.

Richterin Freifrau von Blomberg berichtete von ihrer Arbeit im Amtsgericht Stadthagen und stellte erst einmal heraus, dass das Strafrecht die Bürgerinnen und Bürger vor staatlicher Herrschaft und Willkür schützen soll: „Die Rechtsordnung soll dafür sorgen, dass am Ende ein Rechtsfrieden einkehrt!“ Seit den 80er Jahren wird vermehrt auf den Schutz der Opfer in Strafverfahren gelegt, wobei sie nicht gerne von „Opfern“ spricht, da das Wort mittlerweile in der Jugendszene als Schimpfwort Einzug gehalten hat. Aus ihrer Erfahrung und aus Studien weiß sie, dass Betroffene oft ein geringes Selbstwertgefühl haben mit Depressionen, Angstzuständen und Handlungsunfähigkeit und dadurch mehrere Versuche benötigen, um sich von ihrem gewalttätigen Partner zu trennen. Gewalt wird in solchen Beziehungen häufig zur Normalität, weil Gewalterfahrungen in den Familien an die Kinder weitergegeben werden, die dann in eigenen Beziehungen wieder zu Tätern werden. „Gewalt ist jedoch keine Normalität“, so Frau von Blomberg, „darauf kann man gar nicht oft genug hinweisen!“

Polizeizeichner Dirk Scheerle macht seine Arbeit im LKA seit 1988 und hat 500 bis 600 Einsätze pro Jahr. Ein Polizeibeamter, so Scheerle, sei immer auch ein Sozialarbeiter am Menschen und die Opfer, die mit ihm gemeinsam ein Bild vom Täter erstellen, teilen ihre Erinnerungen und Wahrnehmungen mit: „Und die können auch trügen“, demonstrierte er anhand eines Schachbrettmusters mit Farbveränderungen durch veränderte Lichtverhältnisse. Für sich selbst hat der Polizeizeichner eine Form der eigenen Verarbeitung gefunden, um die ihm geschilderten schlimmen Ereignisse nicht mit nach Hause tragen zu müssen: „Besonders schlimm ist es, wenn Kinder betroffen sind!“ Auch in seinen Arbeitsbereich fallen Verfahren, um länger vermisste Kinder mit einem „Gesichtsalterungsverfahren“ so darzustellen, wie sie mutmaßlich heute aussehen: „Eine hochmoderne und aufwändige Arbeit!“

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Von links: Werner Kerding, Dirk Scheerle, Gönna Freifrau von Blomberg und Thomas Weishaupt stehen Rede und Antwort zur Frage, wie man sich als Opfer von Gewalttaten verhalten soll.

Werner Kedings Aufgabe war im Gesprächskreis wohl die schwierigste. Er berichtete vom Tod seines Sohnes, der vor 15 Jahren durch einen entfernt Bekannten im Alter von 20 Jahren getötet wurde. „Es waren die schlimmsten fünf Tage, als wir nicht wussten, was mit unserem Sohn passiert ist!“ Viele Freunde und Bekannte beteiligten sich an der Suche nach dem zunächst Vermissten. Als feststand, dass Alexander tot war, ging die Tortur für die Eltern weiter: Mit den notwendigen polizeilichen Ermittlungen und den ständig präsenten Medien, die sogar auf der Beerdigung Filmaufnahmen fertigten.

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Vor Gericht traten die Eltern dann als Nebenkläger auf und der Täter wurde letztlich nicht als „Mörder“ lebenslänglich verurteilt, sondern musste als „Totschläger“  zehn Jahre ins Gefängnis. Doch nicht nur der Täter wurde hier verurteilt, so Keding, auch die Eltern haben ihr Urteil erhalten: „Und zwar lebenslang – ohne unseren Sohn!“ Und noch etwas bewegte den Vater: „In der Verhandlungspause ging ich mit selbstgekauften Zigaretten zum Rauchen und musste mit ansehen, wie die evangelische Gefangenenseelsorge dem Täter eine Zigarette anbot; seitdem habe ich ein gespaltenes Verhältnis zur Kirche!“

Wo man als Opfer einer Straftat Hilfe erhalten kann, das schilderte Thomas Weishaupt, Außenstellenleiter vom „Weissen Ring“ Schaumburg. Dort kann man unter anderem Hilfestellung für Rechtsberatung bekommen und man erhält Kontakt zu speziell geschulten Opferanwälten als Gegenstück zu Pflichtverteidigern. Der „Weisse Ring“ unterstützt Opfer auch dann, wenn sie noch keine Anzeige erstattet haben oder erstatten möchten. Die Außenstelle Schaumburg ist erreichbar unter der Telefonnummer 0151/55164711 oder unter thomas.weishaupt@gmx.net.

Eine handverlesene Anzahl von Interessierten hörte sich die Ausführungen der vier Podiumsmitglieder an. Fazit: Für ein Opfer gibt es nie eine gerechte Entscheidung am Ende eines Verfahrens, man muss als Opfer einen Weg aus der Opferrolle heraus finden! Doch am Ende ist es wichtig, dass man das Gefühl hat, alle beteiligten Behörden hätten ihr Bestes gegeben und das man ernst genommen wird: „In meinem Fall war das so“, sagte Werner Kerding.

 

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