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Straßenbau über höhere Steuern finanzieren? Rat verzichtet auf neue Beitragssatzung

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Ist die Neufassung der Satzung über die Erhebung von Beiträgen zum Straßenausbau sozial verträglich oder ungerecht? Reißt die Vorlage der Verwaltung Witwen auf dem Land und mit kleiner Rente in den wirtschaftlichen Abgrund? Oder treibt sie gar Grundstückseigentümer mit fünfstelligen Forderungen in den Ruin, wenn plötzlich eine Straßensanierung auf dem Programm steht? Die Diskussion im Rat der Stadt Rinteln hätte nicht kontroverser ausfallen können. Das öffentliche Interesse an dem Tagesordnungspunkt war groß, wie die gut gefüllten Zuschauerreihen bewiesen. Die alte Satzung in ihrer Fassung von 1987 ist jedenfalls nicht mehr rechtsgültig und muss aufgehoben werden, darin waren sich fraktionsübergreifend alle politischen Vertreter einig. Über das, was statt dessen beschlossen werden soll, nicht so ganz.

So befand die SPD-Fraktionsvorsitzende Astrid Teigeler-Tegtmeier die 17-seitige Neufassung, die teils saftige finanzielle Mehrbelastungen für Grundstückseigentümer beinhaltet, für gut und zustimmungswürdig. Bei 19 Millionen Euro Kreditsumme, die den städtischen Finanzhaushalt belasteten, seien neue Straßen („wir benötigen viele Straßen und viel Geld“) nicht aus der Portokasse zu bezahlen. Allerdings gebe es bei der Abstimmung keinerlei Fraktionszwang, betonte sie gleich zu Anfang. Jedes SPD-Mitglied sei somit frei in seiner Entscheidung.

Plädierte für die neue Straßenausbaubeitragssatzung: Astrid Teigeler-Tegtmeier (SPD).

Davon machte Dieter Horn (SPD) sogleich Gebrauch, als er die Nachteile einer neuen Satzung aufzählte. Die Tiefenbegrenzung für Grundstücke, die in der Verwaltungsvorlage mit 30 Metern angesetzt worden war und eine übermäßig hohe Belastung von Grundstückseigentümern im ländlichen Raum verhindern sollte, sei eine „Mogelpackung“, da sie nur für Grundstücke an den Außenflächen von Bebauungsräumen gelte, nicht jedoch bei Grundstücken die „Rücken an Rücken“ zueinander lägen. Den wirtschaftlichen Nutzen für Anlieger von neu ausgebauten Straßen zog er in Zweifel. Wenn beispielsweise die Friedrichstraße ausgebaut würde, wären Stüken-Mitarbeiter zwar schneller am Arbeitsplatz, da schneller gefahren werden könne: „Mir soll mal jemand erklären, welchen Nutzen der Anwohner davon hat?“ Nachbargemeinden hätten keine Straßenausbaubeitragssatzung oder diskutierten ihre Abschaffung – in Rinteln würde an der Geldschraube gedreht, mit bis zu fünffach höheren Beiträgen, das passte für den Engerschen Ortsbürgermeister nicht zusammen. Er plädierte stattdessen für eine Anhebung der Grundsteuern („das ist sozial, weil es jeden betrifft“) und befand die neue Satzung als „unnütz wie einen Kropf“, was ihm Beifall aus den Zuschauerreihen einbrachte.

„Wir brauchen keine Satzung“, so das Fazit von Dieter Horn (SPD).

Ganz anders sah es Dr. Ralf Kirstan (FDP), der dazu riet, dem Beschlussvorschlag ausdrücklich zu folgen, da es sich hierbei um eine Verbesserung der Infrastruktur innerhalb der Kommunen handele und damit eine Wertsteigerung der Grundstücke verbunden sei – was bei den anwesenden Zuschauern wiederum Empörung und Gelächter zur Folge hatte. Laut Kirstans Beispielrechnung beliefen sich die Mehrkosten für ein 1.000 m²-Grundstück in der Drift auf 3.800 Euro, was seiner Argumentation nach „vertretbar“ sei und auch mit einer „Teilzahlung“ beglichen werden könne. Kirstans Argumentationsangriff auf Landwirte, die Felder und Äcker bis zum Wegesrand durchpflügten und somit (und auch durch die Nutzung von Landmaschinen mit großen Reifen) auch Wirtschaftswege beschädigten und somit zur Kasse gebeten werden sollten („Riesenmaschinen rumänischer Großbetriebe“), brachte wiederum Heinz-Jürgen Requardt (CDU) auf die Palme. Dieser äußerte nur kurz seine Zustimmung fürs Umlageverfahren, empörte sich im Anschluss aber über „Kirstans Keule“, mit der er einer ganzen Berufsgruppe öffentlich strafbare Handlungen unterstelle und forderte eine Entschuldigung. Unterstützung erhielt er vom frischgebackenen Ratsherrn und (ebenfalls landwirtschaftlich tätigen) Anthony-Robert Lee („Sie haben 80% Ihrer Redezeit damit vergeudet, Landwirten eine Schuld am Zustand der Straßen zuzuschustern“) und Uwe Vogt (beide CDU), die Kirstan darüber belehrten, dass große Räder aufgrund einer kleineren Flächenbelastung eine geringere Belastung für den Untergrund darstellten. Nach diesem kleinen Ausflug ins Schulfach Physik tauschten die Ratsmitglieder weiter ihre Argumente pro und contra Straßenausbaubeitragssatzung aus.

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Veit Rauch (CDU) argumentierte, eine Anhebung der Grundsteuern und eine Umverteilung der Last auf viele kleine Schultern sei viel sozialverträglicher.

Veit Rauch (CDU) hielt ein flammendes Plädoyer gegen die Satzung und für eine Anhebung der Grundsteuern („in Lauenau schafft man sie ab, wir wollen sie einführen? Ich verstehe das nicht.“). Gerade im ländlichen Raum, wo man mit Hilfe von Dorfgemeinschaftshäusern die Ortsteile am Leben erhalten will und es viel Ackerflächen und Eckgrundstücke gebe, sei eine solche Entwicklung fatal, so sein Fazit. Die Grundsteuer-Hebesätze seien im Vergleich zu Bückeburg und Stadthagen sehr niedrig, da „sei noch Luft nach oben“. Ganz anders die Sichtweise von Dr. Gert-Armin Neuhäuser (WGS), der sich selbst als „erklärter Anhänger der neuen Satzung“ outete. Man habe die alte, fehlerhafte Satzung jahrelang „durchgeschleppt“. Allen müsse klar sein, dass bei einer Erhöhung der Grundsteuern diese Kosten von Vermietern auf ihre Mieter umgelegt werden. „Natürlich zahlten Besitzer großer Grundstücke mehr Ausbaubeiträge, dafür haben sie ja auch ein großes Grundstück“, so Neuhäuser, „wenn man einen großen Porsche Cayenne volltankt, beschwert man sich ja auch nicht dass er mehr Sprit verbraucht als ein kleiner VW Beetle.“ Im Übrigen mahnte er an, ein „Systemwechsel“, weg von der Satzung hin zu höheren Grundsteuern sei nicht mehr rückgängig zu machen und eine dauerhafte Entscheidung. Ähnliches brachte Heinrich Sasse (WGS) hervor, der vor der „Diskussion als Augenwischerei“ warnte. Es würde immer von einer „sozialen Lösung“ und der „verarmten Witwe“ als Extrembeispiel gesprochen, doch wo sei die soziale Komponente, wenn ein Eigentümer von zwei, zehn oder 100 Wohnungen die Mehrkosten durch gestiegene Grundsteuern auf seine Mieter umlegen könne? Laut Grundgesetz sei definiert, dass Eigentum auch soziale Verpflichtung bedeute. Den Bürgern hingegen eine Umlage als soziale Lösung verkaufen zu wollen, sei „eigennützig“.

Dr. Ralf Kirstan (FDP) sah die Kostensteigerung durch die neue Satzung als vertretbare Lösung.

Kay Steding (CDU) warf der Stadtverwaltung vor, man habe unter der Leitung des vorherigen Bürgermeisters mit der Satzung 17 Jahre lang „geschludert“. Das Argument der Wertsteigerung erschloss sich ihm nicht: „Man muss schon sehr naiv sein, um zu glauben, etwaige Mehrkosten von 25.000 Euro durch Ausbau einer Straße in Goldbeck oder Strücken bei einem Immobilienverkauf wieder hereinbekommen zu können.“ Dies würde im Gegenteil eher sogar eine Wertminderung zur Folge haben, wenn bekannt würde, dass in naher Zukunft Straßen ausgebaut werden sollen. So sah es auch Joachim von Meien (CDU), der argumentierte, etwas „Gutes“, nämlich der Ausbau einer Straße, würde durch die neue Satzung als etwas „Negatives“ wahrgenommen.

Gespaltenes Verhältnis zur neuen Satzung: Mit 15:15 Stimmen (bei nicht vollzähliger Besetzung) bleibt die Frage zur Kostenbeteiligung bei künftigen Straßenbauprojekten vorerst ungeklärt. Eine Erhöhung der Grundsteuern macht eine Änderung der Haushaltssatzung erforderlich, dies muss erst noch beraten werden.

Nachdem nach rund einstündiger Debatte alle mehr oder weniger sachlichen Argumente ausgetauscht waren, unternahm Veit Rauch den Versuch auf Änderung der Beschlussvorlage und den Abstimmungspunkt „Grundsteuern“ mit aufzunehmen, wurde aber von Bürgermeister Thomas Priemer eingebremst. Eine Höherfestsetzung der Grundsteuern sei heute nicht Thema, so Priemer. Dafür müsse zunächst die Haushaltssatzung geändert werden, dies wiederum erfordere Vorarbeit seitens der Verwaltung und Beratung in einer der nächsten Sitzungen. Zur Abstimmung kam es dennoch: Die alte Satzung wurde erwartungsgemäß aufgehoben. Für eine neue Satzung fehlte jedoch die Mehrheit. Mit 15 Ja- und 15 Nein-Stimmen wurde der Beschlussvorschlag praktisch „schach-matt“ gesetzt und abgelehnt. Fortsetzung folgt bestimmt.

 

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