Manchmal haben Ratssitzungen den Charme eines abendfüllenden Spielfilms. So auch gestern, als es im Rat der Stadt Rinteln stellenweise wie in einem Krimi zuging. Verschwörungstheorien, schwarze Katzen, Nasenringe und Mickymäuse legten einen Handlungsstrang hin, wie ihn ein Drehbuchautor nicht besser hinbekommen hätte.
Die Stelle des Ersten Stadtrats (also der Vertretung des Bürgermeisters) soll zum 01.10.2015 neu besetzt werden. Jörg Schröder, jetziger Amtsinhaber, steht nicht für eine weitere Amtsperiode zur Verfügung und wechselt den Beruf. Am 19.03.15 wurde die Stelle laut Ratsbeschluss ausgeschrieben, nach langer Diskussion über Anforderungen und Besoldungsklasse stimmte man mit 22 Ja- und 10 Nein-Stimmen dafür, eine „Juristinnen- bzw. eine Juristenstelle nach B2 mit mindestens einem Prädikatsexamen“ auszuschreiben. Von 11 eingangenen Bewerbungen sind vier Kandidaten in die nähere Auswahl gekommen. Sie bekamen 13 gleich lautende Fragen und eine praxisnahe Aufgabe gestellt. Das Auswahlverfahren wurde dabei von einer Psychologin der Deutschen Gesellschaft für Personalwesen begleitet. Am Ende entschied die erreichte Punktzahl.
Für die SPD war alles „OK“
Astrid Teigeler-Tegtmeier (SPD) berichtete, die Auswahlkommission habe an zwei Abenden insgesamt über 11 Stunden zusammen gesessen und sich abgestimmt, die Bewerberin Antje Höhl passe gut zu Rinteln und werde gut mit dem Bürgermeister zusammenarbeiten.
Die Kandidatin hat laut Gert Armin Neuhäuser (WGS) aber nur durchschnittliche Beurteilungen und ein durchschnittliches Examen. Wie ist so etwas möglich? Die Erklärung folgte auf dem Fuße: Statt des im Rat beschlossenen, geforderten Prädikatsexamens, stand im Ausschreibungstext nur noch „erwünscht“. Das sei der Unterschied zwischen harten und weichen Auswahlkriterien. Seine Bedenken hat Neuhäuser am 29.05. in schriftlicher Form vorgetragen, über eigene Kanäle Nachforschungen angestellt. Dabei kam heraus, dass der jetzige Erste Stadtrat, Jörg Schröder, die ausgewählte Bewerberin für das neue Amt vor 20 Jahren kennengelernt hat. „Eine Duz-Bekanntschaft“ so Neuhäuser, diese persönlichen Kontakte hätten offengelegt werden müssen, wer dieser seiner Sicht nach urdemokratischen Anforderung nicht genügt, habe etwas zu verbergen.
Wie im Krimi: „Es gibt keine Zufälle“
„Ich beschäftige mich mit der Frage, wie es sein kann, dass wir einen Ratsbeschluss haben, dass eine Ausschreibung erfolgt die von diesem Ratsbeschluss abweicht, dass wir Bewerber haben die den Kriterien des Ratsbeschlusses nicht entsprechen und dass dann solch eine Bewerberin auch eingestellt werden soll“, fasste Neuhäuser zusammen. Er zog Parallelen zu einer Krimiserie aus der Stadtbücherei mit dem Fazit: „Es gibt keine Zufälle.“
„Ausschreibungstext umfrisiert“
Veit Rauch von der CDU war angesichts dieser Entwicklungen fassungslos: „Es hat schon ein Geschmäckle. Der Ausschreibungstext wurde so umfrisiert dass man das Prädikatsexamen umschiffen kann. Auch wir haben den Bürgermeister am 03.06. in einer E-Mail darauf hingewiesen, dass wir mit dem Ausschreibungstext nicht einverstanden sind und die CDU so ein rechtswidriges Verfahren nicht mitmacht.“ Die 10 Nein-Stimmen am 19.03. kamen von der CDU-Fraktion, so Rauch, man sei sich einig gewesen dass das Unternehmen „Stadt Rinteln“ einen Juristen brauche, aber dass auch die Besoldungsklasse A13/A14 durchaus angemessen gewesen wäre und kein Wahlbeamter, der die Stadt in acht Jahren Amtszeit rund 1,1 Millionen Euro kostet. Einerseits habe man dadurch 500.000 Euro Mehrkosten, müsse aber an anderer Stelle über die Erhöhung der Kindergartengebühren sprechen. Das Unterhaltungsbudget der GVS sei so niedrig angesetzt, dass in der Grundschule Süd die Klassenräume nicht saniert werden können. „Ich finde so etwas widerlich. Dass man einen Ratsbeschluss so konterkariert, ist ein Schaden für die Demokratie“, so Rauch.
„Was mache ich hier eigentlich?“
Einige Ratsmitglieder zweifelten an der Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit. „Was mache ich hier eigentlich?“, fragte Thorsten Frühmark (CDU), „der Rat hat den Auftrag, die Verwaltung zu kontrollieren. Wie kann ich das tun, wenn die gefassten Beschlüsse nicht umgesetzt werden? Ich werde meine Wähler darüber informieren, dass ein Ratsbeschluss übergangen wurde. Ich blicke auch gespannt in Richtung der Presse und frage mich, was auch mit dem Hintergrund der geringen Wahlbeteiligung darüber wohl zu lesen sein wird.“ Frühmark stellte dem Bürgermeister abschließend die Frage, warum der Ratsbeschluss nicht umgesetzt worden sei. Priemer antwortete, er sei der Auffassung, der Ratsbeschluss sei umgesetzt worden, im übrigen habe es 11 Bewerber gegeben, einige davon mit Prädikatsexamen.
„Ein Streit um des Kaisers Bart“
Heinrich Sasse (WGS) erinnerte daran, dass man über den Ratsbeschluss nicht diskutieren könne: „Ich habe den Bürgermeister am 2.6. per E-Mail gefragt, was die Berechtigung für die Änderung der Kriterien ist. Darauf habe ich bis heute keine Antwort bekommen. Das muss man praktisch sehen. Wenn der Rat beschließt, wir stellen den ein, den die Komission ausgewählt hat – und der Rat hat die Mehrheit – dann ist das Thema vom Tisch. Beschließt der Rat das nicht, muss der Bürgermeister neu ausschreiben. Genau das ist die Strategie des Bürgermeisters, er vertraut darauf, dass er dieses Verhalten abgesegnet bekommt. Wie will ich mit einem Bürgermeister, auf den ich mich gefreut habe, umgehen, der sich über einen Ratsbeschluss hinwegsetzt, persönlich umgehen? Soll ich Zukunft alles kontrollieren, ob er das was der Rat beschließt, kontrolliert? Ich habe damit ein Problem. Und wenn Sie damit kein Problem haben (in Richtung Ratsmitglieder), zeigen Sie, dass sie selbst nicht ernst genommen werden wollen. Entschuldigen Sie sich beim Rat dafür, dass Sie über das Ziel hinausgeschossen sind. Wofür sitzen wir denn dann eigentlich noch hier?“
Micky Maus Veranstaltung und schwarze Katzen?
Kay Steding erinnerte daran, dass es für die erstklassige Bezahlung der Stelle auch einen erstklassigen Bewerber geben solle und keine „Vetternwirtschaft“: „Wenn die Beschlüsse nicht umgesetzt werden, dann ist der Rat eine MickyMaus-Veranstaltung. Was sitzen wir hier dann noch rum?“
Für Ursula Helmhold (Grüne) waren das konstruierte Verschwörungstheorien: „Ich kann auch sagen, am Tag des Vorstellungsgesprächs habe ich eine schwarze Katze in meinem Vorgarten gesehen und der Mond war verfinstert.“ Die ihrer Meinung nach formale Diskussion habe nichts mit der Einstellung zu tun, die Ausschreibung habe ihrer Meinung nach niemanden ausgeschlossen. „Was ist eigentlich günstiger, mehrmals ausschreiben oder einmal?“ sagte Helmhold und beantragte kurzerhand, den strittigen Ausschreibungstext im Nachgang abzusegnen. Sie warf der Opposition vor, sie fahre ein Ablenkungsmanöver und wollte dem ein Ende bereiten. Dem Antrag wurde stattgegeben, der Ausschreibungstext erhielt (mit knapper Mehrheit) seine Absolution, getreu der Devise: „Was nicht passt, wird passend gemacht!“
Veit Rauch (CDU) bescheinigte Helmhold die abnorme Fähigkeit, sich binnen drei Monaten wie ein Aal gedreht zu haben: „Zuerst stimmen sie selber einem Prädikatsexamen zu, jetzt wollen Sie nichts davon wissen.“ Für die SPD-Fraktion, die bis auf eine Wortmeldung von Astrid Teigeler-Tegtmeier, Zurückhaltung in der Debatte übte, war es zuviel der Diskussionen. Klaus Wißmann beantragte das vorzeitige Ende der Debatte.
Heinz-Jürgen Requardt (CDU) erinnerte nochmals daran, der Bürgermeister soll die Ratsbeschlüsse umzusetzen: „Ihr Vorgänger im Amt hat in 17 Jahren mehrere Millionen Schulden gemacht. Sie haben in 170 Tagen Amtszeit das Recht gebeugt.“ Er bescheinigte Astrid Teigeler-Tegtmeier das Fehlen eines Nasenrings: „An dem werden Sie nämlich gerade durch den Raum gezogen!“
Sasse (WGS) sagte, vom vorherigen Bürgermeister sei man Alleingänge gewohnt, bewege sich aber sich nach nur einem Jahr Amtstätigkeit auf einem schmalen Grat: „Sie (der Rat) geben doch die Bedeutung ihres Amtes auf. Was wollen Sie hier, gehen Sie doch nach Hause!?“
Letztendlich kam es zur geheimen Wahl, das Ergebnis überraschte: Mit 17 Ja-Stimmen, 14 Nein-Stimmen und einer Enthaltung fehlte die absolute Mehrheit im Rat. Die vorgeschlagene Bewerberin wurde somit nicht zur Ersten Stadträtin gewählt. Die Opposition hatte Grund zur Freude und zeigte dies auch. Doch der Krimi ist noch nicht vorbei, die Stelle muss wohl neu ausgeschrieben werden. Ob mit oder ohne „korrekte“ Stellenbeschreibung, wird sich zeigen. Am Montag ist eine Pressekonferenz angesetzt. Dann wird klar sein, wie sich die Verwaltung zu dem Ergebnis der Abstimmung positioniert. Wie im Kino gilt auch hier: Fortsetzung folgt. (iv)