(Exten) Zur Einführung seines Vortrags zeigt Alex Holtzmeyer vom Bundesverband Elektromobilität das Foto einer Spritpreistafel vom 11. Februar 2014. Der Liter Diesel kostet 1,36 Euro; Super 1,50 Euro. Gute zehn Cent über den aktuellen Preisen. Doch das wirklich Interessante an dem Bild ist etwas anderes: Im Schatten der Leuchtreklame steht ein Auto, daneben ein Knäuel aus Stromkabeln. Vor sechs Jahren gab es noch keine Infrastruktur zum Laden von E-Autos.
Holtzmeyer war aber in so einem Wagen unterwegs und als die Reichweite schrumpfte, musste er Erfindungsreichtum beweisen. Also fragte er an der Tankstelle nach, ob er sein E-Mobil an der Steckdose für den Rasenmäher laden dürfe – und er durfte. „Als E-Mobilist entwickelt man eine Nase für Strom“, schmunzelt Holtzmeyer und die rund 70 Besucher im Dorfgemeinschaftshaus Exten schmunzeln mit. Sie waren einer Einladung der SPD Rinteln und des Vereins Bürgerenergiewende Schaumburg zu einem Themenabend gefolgt. Holtzmeyer kommt aus der Gemeinde Steyerberg im Landkreis Nienburg. Dort läuft seit 29 Jahren ein CarSharing-Projekt mit elektrischen Fahrzeugen und erneuerbaren Energien.
Beim Rückblick auf die Bilder aus fast drei Jahrzehnten sieht man die Entwicklung der E-Mobilität. Seinerzeit glichen die Fahrzeuge teils skurril anmutenden, notdürftigen Fortbewegungsmitteln mit Akku, heute stehen E-Autos ihren Verbrenner-Modellen optisch in nichts nach. In der 5100-Einwohner-Gemeinde war man seiner Zeit öfters voraus. Als 2015 das Pariser Klimaschutzabkommen beschlossen wurde, hatte der Rat in Steyerberg bereits Monate zuvor einen Beschluss verabschiedet, der mit diesem in wesentlichen Punkten übereinstimmt.
Apropos Klimaschutzabkommen: Dieses sei, so Holtzmeyer, von der Bundesregierung nicht mehr einzuhalten. Die Umsetzung habe zu spät angefangen, es hätten jetzt schon markante „Kippmomente“ eingesetzt – unter anderem das Auftauen der Permafrostböden und damit die Freisetzung von Methan – die nicht mehr aufzuhalten seien. Kritik gibt es auch dafür, dass selbst Staaten, die „sich sonst in nichts einig sind, das Abkommen unterzeichnet hätten. Doch dann habe man die Bedeutung des Vertrages nicht weiter kommuniziert. Bis das Thema durch die „Fridays for Future“-Bewegung wieder in die Öffentlichkeit gebracht wurde.
Viele europäische Länder haben sich festgelegt, ab wann sie keine diesel- oder benzinbetriebenen Neufahrzeuge mehr zulassen. In den Niederlanden, Dänemark und Irland ist dies bereits 2030 der Fall. Frankreich, Spanien und das Vereinigte Königreich ziehen ab 2040 nach. „Dabei ist das fossile Zeitalter jetzt schon vorbei“, resümiert Holtzmeyer. Die Experten des Mineralölkonzerns Exxon hätten dies und die Folgen des Klimawandels schon vor 40 Jahren vorausberechnet. In der Folge seien Fundamente für Öl-Pipelines so gebaut worden, dass sie trotz aufgetauter Böden standfest blieben. Auch Versicherungen hätten bereits frühzeitig auf die sich anbahnenden Veränderungen reagiert, Leistungen gekürzt, Policen angepasst und Beiträge erhöht.
Mit einem Satellitenbild und einem Foto aus Paris, das die Stadt in dichten Nebel eingehüllt zeigt, versucht Holtzmeyer ein weiteres Gedankenexperiment zu veranschaulichen: „Unser Leben auf der Erde spielt sich zwischen 0 und 3.000 Metern Höhe ab. Das sind gerade einmal 3 Kilometer. Und derzeit probieren wir aus, welche Menge an Schadstoffen man in diesen Lebensraum pumpen kann, bis etwas passiert.“ Und so, wie man für die Müllbeseitigung Geld bezahle, müsse man auch für die CO2-Produktion bezahlen, so der Experte. Da man es versäumt habe, rechtzeitig Maßnahmen zur Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens einzuleiten, müssten diese nun umso stärker ausfallen, will man die „Vollbremsung fürs Klima“ noch schaffen. Dazu gehört für den Verband auch ein Umdenken in der Verkehrspolitik, auf den „Wirtschaft und Politik noch nicht vorbereitet sind“. Eine vom Bundesverband durchgeführte Umfrage ergab, dass sich zwei Drittel der täglichen PKW-Fahrten im ländlichen Raum über eine Distanz von weniger als 40 Kilometern abspielen. Damit sei das bei E-Autos vieldiskutierte Thema der Reichweite eigentlich kein Problem mehr, denn zum Laden reiche im Prinzip eine herkömmliche Haushaltssteckdose. Oft stehe aber auch die Bürokratie der Innovation im Weg. So reiche bei Eigentümerversammlungen in Mehrfamilienhäusern eine einzige Gegenstimme, um die Installation einer Ladebox in der Tiefgarage zu verhindern. „Da bohren wir schon seit Jahren ein dickes Brett.“
Christiane Bork-Jürging, Vorstandsmitglied im Verein Bürgerenergiewende Schaumburg, informierte über das exponentielle Wachstum von Konsum und Resourcenverbrauch und die Zusammenhänge mit Auswirkungen auf die Umwelt. Auch habe es in Deutschland niemals einen freien Strommarkt gegeben. Stromerzeugung – egal ob durch Kohle, Atomkraft oder Wind – sei schon immer subventioniert gewesen. Wenn man durch Kursänderung in der Klimapolitik keinen tiefgreifenden Wandel einleite („by Design“) und bewusst Veränderungen hervorrufe, sagte die Referentin, komme es durch Zusammenbruch von Ökosystemen, Hungersnöte und Klima-Kipppunkte zu einem erzwungenen Wandel („by Disaster“).
Die heimische SPD-Bundestagsabgeordnete Marja-Liisa Völlers erklärte die Maßnahmen des Klimaschutzpakets der Bundesregierung. Dabei gehe es nicht allein um die höhere CO2-Steuer, die viel diskutiert werde. Das Gesetz betreffe alle, vom Verkehr bis zur Industrie, beinhalte das Verteuern von Flügen und die Senkung der Mehrwertsteuer auf Bahntickets. Angeblich, so Völlers, habe die Bahn dadurch bereits eine Million neue Kunden gewinnen können. Sie selbst erhalte viele Zuschriften, die zeigten, wie gespalten die Gesellschaft in Sachen Klimaschutz sei: „Den einen geht das Klimaschutzpaket zu weit, den anderen geht es nicht weit genug.“ Dabei sei wichtig, die Maßnahmen sozial verträglich zu gestalten. Durch den Kohleausstieg würde ein milliardenschweres Förderprogramm für betroffene Regionen aufgelegt. Der Umstieg auf ein E-Auto bis 40.000 Euro wird Käufern mit einer Prämie in Höhe von 6.000 Euro versüßt. Auch kursierten viele Fehlinformationen zu den Maßnahmen. So gebe es kein Verbot von Ölheizungen, es dürfen nur ab dem Jahr 2026 keine neuen Systeme mehr eingebaut werden. Austauschwillige erhalten eine Prämie in Höhe von 40%. Allerdings, so Völlers, müsse ein durchschnittlicher Arbeitnehmer auch in der Lage sein, mobil zu bleiben. Darum werde die CO2-Steuer auch schrittweise eingeführt. In der ersten Phase würden Benzin und Diesel um rund 8 Cent teurer. Das, erklärte Holtzmeyer, ließe sich durch eine Änderung der Fahrgewohnheiten wieder herausholen. Im Gegenzug steigt die Pendlerpauschale ab dem 21. Kilometer, die EEG-Umlage zur Ökostromförderung werde gesenkt.
Als weitere gewichtige Argumente zur E-Mobilität brachte Holtzmeyer technische Vorteile, Vermeidung lokaler Emissionen und den friedenspolitischen Faktor vor: Für den Treibstoff eines E-Autos müssen keine Kriege geführt werden, das Anlassen eines Verbrennungsmotors verursache soviel Verschleiß am Motor wie 500 Kilometer Autofahren und auf den ersten zwei Kilometern produziere ein kalter Motor genauso viele Emissionen wie auf den folgenden 100.
Mittelfristig, so die These, werde der Privatbesitz eines Fahrzeugs eher die Ausnahme werden. Somit bräuchte man in Deutschland auch nicht mehr 45 Millionen PKW, sondern weniger als die Hälfte. Dadurch würden Busse, Fahrräder oder auch Drohnen als Verkehrsmittel stärkere Bedeutung erlangen. Inwieweit dies – besonders im ländlichen Raum – zutreffen wird, muss die Zukunft zeigen.