Seit 2012 ist ein kontinuierlicher Anstieg der Opferzahlen von Partnerschaftsgewalt festzustellen. In etwa 80 Prozent der Fälle betrifft es Frauen. Jede vierte Frau in Deutschland hat laut durchgeführter Studien mindestens einmal in ihrem Leben körperliche oder sexuelle Partnerschaftsgewalt erlebt. Zwei Drittel der von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen haben dabei schwere oder sehr schwere körperliche, bzw. sexuelle Gewalt erlitten. Als Hilfseinrichtung für Opfer häuslicher Gewalt wurde das „Netzwerk Pro Beweis“ 2012 vom Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) gegründet. Betroffene können in einer von 37 Anlaufstellen in Niedersachsen kostenlos eine ärztliche Untersuchung für eine gerichtsverwertbare Dokumentation und Beweissicherung in Anspruch nehmen. Unabhängig von einer Anzeige bei der Polizei. Eine dieser Untersuchungsstellen ist jetzt das Klinikum Schaumburg.
Nadine Pasel, Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Schaumburg, ist froh darüber, dass das Klinikum dem Netzwerk beigetreten ist: „Vielen Betroffenen fällt es nach erlebter häuslicher oder sexueller Gewalt schwer, sofort bei der Polizei Anzeige zu erstatten.“ Einen Fremden anzuzeigen, damit haben Menschen in der Regel keine Probleme. Wenn es aber darum geht, die vom Ehepartner, Onkel oder Elternteil verübte Tat zur Anzeige zu bringen, ist die Hemmschwelle groß. Die frühzeitige Beweissicherung ist aber wichtig, denn viele Spuren sind nur für kurze Zeit nach der Tat nachweisbar. Durch die professionelle Spurensicherung im Klinikum wird auch eine spätere Beweisführung vor Gericht ermöglicht. Die Opfer – Frau oder Mann – können sich somit noch zu einem späteren Zeitpunkt entscheiden, Strafanzeige zu erstatten.
Stefanie Hoyer, Ärztin aus dem Institut für Rechtsmedizin an der MHH, schult die Mitarbeiter der zentralen Notaufnahme und Ärzte der Gynäkologie am Klinikum. Die Partnerkliniken bei der Untersuchung von Gewaltopfern gehen nach einheitlichen Standards vor. In den kostenlos zur Verfügung gestellten Untersuchungspaketen befinden sich Dokumentationsbögen, die als Leitfäden dienen und Ablauf sowie Reihenfolge der durchzuführenden Schritte beschreiben. Enthalten sind Tupfer für Abstriche, Röhrchen für Blutproben und Spezialtüten zur Aufbewahrung von Spurenträgern wie z.B. Kleidungsstücken. Die so gesicherten Beweise werden versiegelt und an die MHH geschickt. Blut- und Urinproben werden eingefroren und für mindestens drei Jahre aufbewahrt. Die Dokumentation wird für 30 Jahre eingelagert, da körperliche Gewaltdelikte in Deutschland bis zu 30 Jahre nach der Tat zur Anzeige gebracht werden können. Holger Finkemeier, Leiter der zentralen Notaufnahme am Klinikum Schaumburg, erklärt: „Es ist wichtig, betroffenen Frauen und Männern zu helfen. Insbesondere, da häusliche Gewalt oft keine einmalige Tat ist und es für die Opfer von körperlichen oder sexuellen Übergriffen schwer ist, die Gewaltspirale zu durchbrechen. Vielleicht wird es deshalb für Betroffene leichter, erst zu uns in die Notaufnahme zu kommen, als zur Polizei zu gehen, denn bei uns handelt es sich um eine anonyme Beweissicherung.“
Wer die Hilfe von „Pro Beweis“ in Anspruch nimmt, bleibt so lange anonym, wie sie oder er es möchte
Wer sich zur Unterstützung durch „Pro Beweis“ entscheidet, bekommt für seinen Fall eine Nummer zugeteilt, bleibt ansonsten aber anonym – solange sie oder er es möchte. Die Beweissicherung erfolgt getrennt von einer möglichen Versorgung oder medizinischen Behandlung, taucht weder im krankenhaus-internen System und auch nicht in den Abrechnungsunterlagen der Krankenkassen auf. Die Kosten für die Untersuchung und Beweissicherung übernimmt Pro Beweis, das durchs Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung gefördert wird. Entscheidet sich das Opfer, Anzeige bei der Polizei zu erstatten und den Schritt aus der Anonymität zu vollziehen, können die ermittelnden Beamten die Anfertigung eines rechtsmedizinischen Fachgutachtens sowie die Übersendung der Dokumentation nebst Spurenauswertung anfordern.
Gespräche, dem Netzwerk beizutreten, gab es bereits zu Zeiten der alten Krankenhausstandorte, erklärt Klinikum-Geschäftsführerin Diana Fortmann. Man habe aber erst die Fertigstellung des Neubaus abwarten wollen, um eine solide Basis für die Zusammenarbeit zu schaffen. Seit den Anfängen von „Pro Beweis“ in 2012 sind bisher 817 Untersuchungen und Spurendokumentationen durchgeführt worden. In 8,6 Prozent davon erstatteten die Opfer Anzeige, teilte Hoyer mit. Davon ist es wiederum in 10 Prozent der Fälle zu einer Verurteilung gekommen. Fälle, die möglicherweise ohne die Unterstützung des Netzwerks öffentlich gemacht geworden wären. Weitere Infos auch unter www.probeweis.de.