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Wer war der Rintelner Verfassungskämpfer Carl Wilhelm Wippermann?

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Ein Gastbeitrag von Dr. Stefan Meyer, Leiter des Museums „Eulenburg“ in Rinteln:

Die Deutsche Revolution von 1848 brachte in allen großen und mittleren deutschen Staaten erhebliche, längst überfällig gewordenen Umwälzungen mit sich. Presse- und Versammlungsfreiheit, Gewerbefreiheit, freies, gleiches und geheimes Wahlrecht, Parlamentarismus sind dabei nur Marksteine einer alle gesellschaftlichen Bereiche umfassenden Aufbruchstimmung, wie sie Deutschland nachher wohl nur in der DDR 1989 wieder erlebt hat.

Besonders tief war der Wandel im vergleichsweise kleinen Hessen, das rückblickend mit einiger Berechtigung als ein Musterland sowohl obrigkeitlicher Willkür, als auch bürgerlicher Opposition in dieser Zeit bezeichnet werden kann. Nirgendwo in Deutschland war angesichts nicht enden wollender Skandale und Fehlentscheidungen die Krise der Monarchie so deutlich zu Tage getreten wie hier, in wenigen Ländern war ihr Rückhalt in der Bevölkerung so gering geworden und nirgends erfolgte später die anschließende Reaktion so rücksichtslos gegen ein im Widerstand geeintes Volk.

In besonderem Maße hatte Rinteln Anteil an den hessischen Verfassungskämpfen zwischen 1830 und 1862, denn von Kassel abgesehen war keine andere hessische Stadt Wirkungsstätte so vieler bedeutender Politiker und Publizisten jener Tage. Friedrich Oetker, Albrecht von Bardeleben, Albrecht Osterwald und Carl Wilhelm Wippermann sind bis heute feste Größen in der Landesgeschichte. Besonders letzterer, ein lange Zeit beinahe völlig vergessener Sohn Rintelns, hat sich wie kaum ein anderer für eine demokratische und rechtsstaatliche Zukunft eingesetzt.

Die Lithografie zeigt Carl Wilhelm Wippermann 1848 im Kreis liberaler Abgeordneter des Frankfurter Paulskirchen-Parlaments (vorderste Reihe 2. v. re., sitzend, mit dunkler Weste und Brille). (Foto: Museum Rinteln)

Geboren am 1.12.1800 als Sohn eines Juraprofessors an der Ernestina besuchte Carl Wilhelm Wippermann ab 1817 das neugegründete Gymnasium seiner Heimatstadt und kam bereits hier im Rahmen der jungen, damals hoch politischen Turnbewegung mit den sein späteres Leben prägenden liberalen Gedanken in Kontakt. Auf dem großen Turnfest 1818 in Todenmann, dem ersten und zugleich letzten vor dem Verbot durch die kurfürstliche Regierung hielt er seine erste, bereits viel beachtete, öffentliche Rede. Nach dem Jura-Studium in Marburg folgte die Tätigkeit als Referendar, später als Anwalt beim Rintelner Obergericht, 1830 wurde er Stadtsekretär der Weserstadt und löste schon im folgenden Jahr Moritz Briede als Bürgermeister ab.

Mit der Verabschiedung einer hessischen Verfassung als Folge der Turbulenzen in den Monaten nach den Kasseler Unruhen vom September 1830 begann die politische Karriere Wippermanns. 1832 als Deputierter der Landgemeinden des Weserbezirks in die Ständeversammlung gewählt, trat er hier von Anfang an als entschiedener Befürworter und Verteidiger des neuen Verfassungsgesetze ein und wurde bald zum Wortführer des liberalen Flügels und Hauptgegenspieler des berüchtigt reaktionären Innenministers Ludwig Friedrich Hassenpflug. Er übersiedelte nach Kassel, wo man ihn 1835 überraschenderweise zum zweiten Bürgermeister der Residenz wählte. Hier endete die berufliche Karriere zunächst. Die Wahl zum Oberbürgermeister 1842 wurde nach massiven Interventionen des Kurfürsten annulliert.

Carl Wilhelm Wippermann. (Foto: Museum Eulenburg)

Als gewähltes Mitglied der hessischen Ständeversammlung zeigte Wippermann, dem selbst erbitterte Gegner „ein wahres Redetalent“ bescheinigten, besonderes Engagement bei der Ausarbeitung der wichtigen Städte- und Gemeindeordnung von 1834, die die neue Selbstverwaltung der Kommunen regelte. Die bemerkenswert freiheitliche Abfassung dieses Gesetzes, das das rechtliche, soziale und kulturelle Leben der Landgemeinden wesentlich beleben sollte und für die Gesetzgebung in anderen Staaten Vorbildcharakter hatte, ging ganz wesentlich auf sein Betreiben zurück. Gleichzeitig, agierte er gegen die Versuche des Finanzministers das kurfürstliche Hausvermögen zu Lasten der Landeskasse zu vergrößern.

Die aktive und einflussreiche Rolle in Kassel wäre undenkbar gewesen, hätte Wippermann nicht über einen stabilen Rückhalt verfügt und insbesondere die Exklave Schaumburg galt als das eigentliche Hinterland der politischen Opposition in Kassel. Mitstreiter, wie die Rintelner Müller, Knipping, Hagedorn und Werthmüller die gleichfalls mit ihm in der Ständeversammlung einen liberalen Kurs verfolgten, hielten dem vielfach angefeindeten Vorkämpfer den Rücken frei.

Im März 1848 war es dann soweit. Mit dem politischen Umschwung in ganz Europa, musste sich auch der hessische Kurfürst den Zeichen der Zeit beugen. Wippermann nahm als Gesandter der neuen kurhessischen Regierung gemeinsam mit Friedrich Oetker in Frankfurt an den Beratungen des Vorparlaments teil und wurde in die provisorische Vertretung, den sogenannten „Fünfziger-Ausschuss“ gewählt. Bei den ersten freien Wahlen zur neuen Nationalversammlung zog er in das Paulskirchenparlament ein. Auch hier war er keineswegs ein Hinterbänkler, sondern setzte er sich als Mitglied der „Casino-Fraktion“ mit Nachdruck für die verfassungsmäßige Verankerung einer starken Bundesgewalt ein. Die Wahl des hessischen Liberalen Hans von Gagern zu Präsidenten der Nationalversammlung erfolgte auf seinen Vorschlag.

Dass Wippermann nach wie vor in seiner hessischen Heimat über großen Einfluss verfügte, spiegelt die im August 1848 Berufung in das Finanzminsterium. Hierbei übte er u.a. eine wichtige Kontrollfunktion hinsichtlich des beträchtlichen kurfürstlichen Hausvermögens aus.

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Mit dem Scheitern der Revolution kam auch der politische Rückzug Carl Wilhelm Wippermanns. 1850, als Hassenpflug erneut an die Spitze der Regierung trat, wurde Wippermann entlassen und nach einem Zwischenspiel als Abgeordneter im Erfurter Unionsparlament zur Regierungskommission nach Rinteln versetzt. Hier wandte er sich vor dem Hintergrund eines immer eisigeren Klimas der Reaktion historischen Studien zu. Sein zeitgeschichtliches Werk „Kurhessen seit dem Freiheitskriege“ gehört nach wie vor zur regionalhistorischen Standardliteratur, ebenso die „Regesta Schaumburgiensia“ und das „Urkundenbuch des Stiftes Obernkirchen“. Am 23. März 1857 starb Carl Wilhelm Wippermann in seiner Geburtsstadt Rinteln.

Das Ende der strikten Reaktionszeit in Hessen im Jahr 1862, als die Versammlungsverbote aufgehoben wurden und das politische Leben langsam wieder erwachte, erlebte er nicht mehr. Die Rintelner hatten die Leistungen Wippermanns und seiner Mitstreiter dennoch nicht vergessen. Den noch Lebenden unter ihnen verlieh der Magistrat noch im selben Jahr die Ehrenbürgerrechte.

Dennoch trat das Gedächtnis an die frühen Demokraten in der Wilhelminischen Zeit schnell in den Hintergrund. Keine Straße, keine Gedenktafel fand sie der Erwähnung wert in einer Stadt, die an Denkmälern und Ehrentafeln nie Mangel hatte.

Doch bis in die 1950er Jahre, blieb die Erinnerung an die Vorkämpfer der politischen Gleichberechtigung lebendig. Am 100. Todestag Wippermanns, 1957, legten Bürgermeister Riedinger und Stadtdirektor Schulz an seinem Grabmal auf dem Seetorfriedhof einen Kranz nieder, ebenso der Heimatbund und die lutherische Kirchengemeinde.

Im Jahr 2012 hat der Stadtrat mit der Herstellung des lange Zeit abseits am Friedhofrand in Vergessenheit geratenen Grabsteins die Verdienste dieses frühen Demokraten wieder hervorgehoben. Er findet sich heute gut sichtbar mit einer Inschrift versehen an der Friedhofskapelle des Seetorfriedhofs.

Anlässlich des Todestages von Carl Wilhelm Wippermann legt die Stadt Rinteln jedes Jahr am 23. März einen Gedenkkranz am Grabstein auf dem Seetorfriedhof nieder.

Carl Wilhelm Wippermann war kein Barrikaden-Revolutionär. Ihn zeichneten enormer Fleiß, Genauigkeit, Beharrlichkeit und unbedingte Rechts- und Verfassungstreue aus, mit denen er dem ebenso repressiven wie korrupten Kurfürsten Wilhelm II. von Hessen jahrzehntelang die Stirn bot und sich über seine eigene Partei hinaus hohes Ansehen erwarb. Seine Strategie, kleine Erfolge zu festigen und nach und nach auszubauen, führte letztlich zum Ziel. Zwar konnte sie die von ihm bereits im Sommer 1848 vorhergesehene Niederschlagung der Revolution in Hessen nicht verhindern, doch wurde die Verfassung schließlich 1862 unter dem Druck Preußens dann schließlich doch wieder in Kraft gesetzt. Die einmal angestoßenen demokratischen Entwicklungen setzten sich fort.

Wippermann erkannte auch die besondere demokratische und verwaltungsmäßige Kraft der kommunalen Selbstverwaltung. Die über Hessen hinaus wegweisende Gemeindeordnung von 1834 trug wesentlich seine Handschrift. Tatsächlich hat sich in Deutschland die kommunale Verwaltung nicht nur im Frieden, sondern besonders in den Kriegs- und Krisenzeiten des 20. Jahrhunderts als bedeutendste Stütze des Rechtsstaats und der zivilen Ordnung bewährt. Das gilt auch für die jüngste Zeit mit den Corona-Regeln und der Integration der Flüchtlingsströme.

Wippermanns unbedingte Rechtsstaatlichkeit jenseits von jedem Populismus erwarb ihm unter seinen Zeitgenossen großen Respekt. In seinen Wahlreisen wurde er zuverlässig mit überwältigenden Mehrheiten wiedergewählt und es gelang ihm, auch Monarchisten für den Verfassungsstaat zu gewinnen.

Wippermann war eine zentrale Figur in der Demokratiebewegung Hessens, die wiederum eine besondere Strahlkraft auf den gesamten deutschsprachigen Raum ausübte. Insofern weist das Erinnern an ihn weit über Rinteln und die Grafschaft Schaumburg hinaus.

Auch und gerade vor dem aktuellen Hintergrund des Krieges in der Ukraine macht es Sinn, sich der Freiheits- und Verfassungskämpfe des 19. Jahrhunderts zu erinnern und sich bewusst zu machen, dass es nicht selbstverständlich ist, dass Rechtlichkeit, Meinungsfreiheit, friedliche Diskurs- und Kompromissbereitschaft immer erhalten bleiben. Jede Generation muss neu dafür einstehen und bereit sein, diese mühsamen Errungenschaften auch zu verteidigen.

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