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Deich-Diskussion: So stimmte der Rat über die geplante Erhöhung des Erdwalls ab

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(Rinteln) Was haben ein Messbecher und ein Bräter im Stadtrat für eine Funktion? Antwort: Sie standen während eines Redebeitrags von Prof. Dr. Gert Armin Neuhäuser (RI) sinnbildlich als Symbole für die landschaftlichen Verhältnisse im Ahrtahl (Messbecher) und das Wesertal (Flachbräter) zur Verfügung.

Anhand der Küchenhelfer veranschaulichte Neuhäuser die Unterschiede und erklärte, wie sich der Regen verhalte und warum hier der Vergleich „Äpfel mit Birnen“ herangezogen werde. Das Ahrtal und die dortige Flutkatastrophe waren nämlich als ein Argument in der Diskussion genannt worden, die Eindeichung der Kläranlage vorsorglich zu erhöhen.

Wie berichtet, planen die Abwasserbetriebe den Deich zu erhöhen um auch für einen Wasserstand jenseits des „Jahrhunderthochwassers“, auch „HQ100“ genannt, mit einem Pegel von 6,90 Metern, gewappnet zu sein. Der aktuelle Deich würde bis zu einem Hochwasser von 7,50 Metern Schutz bieten. Als Maßstab wurde beim Bau der Kläranlage das Hochwasser von 1946 genommen (7,44 m), diese Marke sollte dem Klärwerk nichts anhaben. Da es keine gesetzliche Verpflichtung für eine Vorsorge über das HQ100-Niveau hinaus gebe und keine neuen Daten vom Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserschutz, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) über die Anhebung dieser Pegeldaten vorlägen, forderten die RI, das Vorhaben einzustampfen und somit 1,1 Millionen Euro einzusparen, die sonst auf den Gebührenzahler umgelegt würden. Die erwarteten Kosten: Rund 1 Cent pro Kubikmeter Abwasser, was aufs Jahr hochgerechnet ungefähr 50 Cent pro Bürger ausmacht. (Anm.: Zuvor stand hier die Angabe von „50 Cent pro Kubikmeter“, dies wurde nachträglich korrigiert.).

Mit einem Bräter und einem Messbecher versuchte Prof. Dr. Gert Armin Neuhäuser (RI) die Unterschiede der Topografie zwischen Ahrtal und Weser zu veranschaulichen.

Stefan Frühmark vom THW Ortsverband Rinteln gab Einblicke ins Thema. Eine Erhöhung sei aus THW-Sicht zu befürworten, weil es aufgrund neuer Messdaten und Geländemodelle eben zu erwarten sei, dass es zwar zu selteneren, dafür aber umso heftigeren Regenfällen kommen werde. 2013 gab es eine Pegelprognose für Rinteln über 7,26 Meter. „Da haben wir ganz schön sparsam geguckt“, so Frühmark. Niedergegangen sei das Regengebiet dann aber glücklicherweise über der Elbe.

Die Kläranlage befinde ziemlich am tiefsten Punkt des Rintelner Stadtgebiets, so Frühmark. Das sei üblich, um das natürliche Gefälle nutzen zu können und das Abwasser loszuwerden. Das bedeute auch, dass sie mitten im Überschwemmungsgebiet liege. Würde Wasser in die Kläranlage laufen, so Frühmark, stünde dort alles unter Wasser, plus Fäkalschlamm. Ein Totalausfall für Monate oder Jahre wäre die Folge. Vergleichbare Schätzungen aus dem Hochwasserschutzplan von 2015 sehen für eine Kläranlage in Hameln einen Schaden von 4,5 Millionen Euro vor. Hinzu käme der Umweltschaden, denn ungeklärtes Abwasser müsste über Monate in die Weser geleitet werden.

Stefan Frühmark, Zugführer beim THW Rinteln, erklärte den Ratsmitgliedern einiges zum Thema Deichbruch und Hochwasserschutz.

Doch ein Ausfall der Kläranlage bedeute auch eine unmittelbare Gefahr für die Altstadt und Südstadt bei einem Pegel von über 7 Metern. „Wir werden unser Wasser nicht los“, erklärte der THW-Zugführer, „zum einen das Abwasser aber auch das Grundwasser, was in die Kanalisation hochdrückt. Wir saufen von hinten ab.“

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Zwar schütze der Deich, er könne aber auch brechen. Das kann durch länger dauerndes Überströmen geschehen, dabei spült der Deich von der Rückseite aus. Das Szenario sei für die Rintelner Kläranlage unwahrscheinlich, da diese relativ klein sei und schnell vollaufen würde.

Grundsätzlich sei der „Deich“ technisch gesehen gar keiner, sondern vielmehr ein begrünter Erdwall, bei dem der dortige Baumbewuchs die Stabilität verringern würden. Die Bäume müssten ohnehin gefällt werden, auf einem Deich hätten sie nichts zu suchen. Hinzu kämen Nagetiere, die mit Höhlenbau zur weiteren Einschränkung der Stabilität der Eindeichung beitragen. Ein weiteres Problem bei einem Deich sei ein sogenannter hydraulischer Grundbruch. Der Deich nimmt das anliegende Wasser auf, es steigt darin immer höher und durchfeuchtet ihn. An dem Punkt, wo er „leicht“ wird, bricht er durch den Druck des Wassers, das der Deich eigentlich aufhalten sollte. „Das ist der Grund, warum Deiche auch immer etwas höher gebaut werden sollen als bis zur Schutzmarke, damit mehr Gewicht auf dem Deichkörper lastet“, erklärte Frühmark. Schwierigkeiten seien auch durch Strömungen oder Eisschollen auf der Weser zu befürchten, die bei Hochwasser dem Deich weiter zusetzen.

Der Deich (oder Erdwall) rund um die Kläranlage ist mit Bäumen bewachsen. Das schwächt im Ernstfall die Stabilität, führte THW-Zugführer Stefan Frühmark im Rat aus.

 

Auch für das Szenario, den Deich im Ernstfall mit Sandsäcken aufzustapeln, rechnete Frühmark ein Beispiel durch: Bei einem Kilometer Deichlänge – wie in Rinteln der Fall – benötige man 35.000 Sandsäcke. Das entspräche 389 Paletten, 350 Tonnen Sand und mindestens 44 LKW-Fahrten ins überflutete Gebiet der Kläranlage. Würde man mit einem LKW gar nicht zur Kläranlage vordringen, hätte dies 389 Bootsfahrten zur Folge. An der THW-Bundesschule in Hoya werden solche Daten anhand von Versuchsdeichen ermittelt. Zahlreiche Helfer müssten stundenlang Säcke befüllen und verlegen. Hinzu kämen Pausen bei der kräftezehrenden Arbeit. Frühmarks wenig optimistische Prognose: „Wir brauchen 500 Leute allein für die Kläranlage und ich sage Ihnen ehrlich, die haben wir nicht.“ Und die restliche Stadt wäre auch noch nicht geschützt.

Astrid Teigeler-Tegtmeier (SPD) erinnerte daran, bei Hochwasser sei die Kläranlage eine Insel und hoffte, das Hochwasser würde sich an geltende Rechtsprechung halten. „Aber eine Insel mit Reserve“, konterte Neuhäuser, der einen Vergleich mit Stahlplatten zog, die man aufs Auto schweißen würde, um sich vor Kometen zu schützen, so unwahrscheinlich sei seiner Ansicht nach das „Schreckensszenario“ einer Überflutung. Bodo Budde (SPD) befand angesichts der geringen zu erwartenden Kosten für die Bürger von rund 50 Cent pro Kubikmeter Abwasser die Diskussion um Rechthaberei als „Witz“ und riet stattdessen, auf die Experten aus dem Hochwasserschutz zu hören. Anthony-Robert Lee (Freie Wähler) deutete die 50 Cent als nur einen Bestandteil und erinnerte daran, dass die Abwasserbetriebe in Zukunft noch mehr Regenrückhaltebecken bauen müssten.

Aus den Rückhaltebecken, die in der Waldkaterallee im Jahr 2024 und in der Kurt-Schumacher-Straße im Jahr 2025 gebaut werden, sollen insgesamt rund 7.500 Kubikmeter Erdboden entnommen und an den Deich um die Kläranlage gefahren werden, anstatt ihn per LKW auf einer Deponie zu entsorgen (wir berichteten). Diese Maßnahme soll die Kosten von 1,1 Millionen auf 900.000 Euro reduzieren und mit lediglich drei Ja-Stimmen konnte sich der Antrag der Rintelner Interessen bei der Abstimmung nicht gegen die Mehrheit durchsetzen. (vu)

 

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