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Kadosch und die die Kupfermünze: Eine alte Geschichte wiederholt sich

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Bis Anfang der Achtziger Jahre arbeitete ich 4 Jahre in Madagaskar. Ich war im Spätsommer in Mahajanga angekommen, und die Hitze war mörderisch. Die Straßen stanken zum Himmel, immer war der ranzige, üble Geruch von unbekannten Stoffen in der Luft. Ich konnte und konnte mich nicht eingewöhnen. Neben der von uns erbauten Textil-Fabrik lagen Lehmhütten, vor denen nackte Kinder im Schmutz spielten. Nachts zirpten die Zikaden im Garten und ließen mich nicht schlafen. Im Herbst kam der Regen, er stand wie eine gläserne Wand vor den Fenstern.

„Heimweh nach Deutschland!“. Hier war niemand, mit dem ich mich befreunden konnte, und der sich darum kümmerte, wie mir zumute war. Ich kam mir ziemlich verloren vor.

Und dann kam Weihnachten. Ich wohnte in einem fabrikeigenen Bungalow, hatte chinesisches und madagassisches Personal. Der oberste von ihnen war der Koch, Clemens Li, der große Herr der Küche. Er sprach recht gut französisch und war der Dolmetscher zwischen mir und dem Zimmerboy, dem Gartenboy, dem Wäscheboy und was es eben sonst noch an fleißigem Personal auf dem Wohngelände gab.
Ich konnte nicht nach Deutschland fliegen, saß daher auf der Terrasse bei einer Flasche Wein und war traurig. Da brachte mir Clemens Li mit vielen Kotaus (das sind chinesische Verbeugungen) ein Geschenk.

Es war eine chinesische Kupfermünze mit einem Loch in der Mitte, durch das Loch waren viele bunte Wollfäden gezogen und zu Zöpfen zusammengeflochten. „Eine sehr alte Münze,“ sagte Clemens Li feierlich, „und die Wollfäden gehören jetzt Dir, sie sind von mir und meiner Frau, vom Zimmerboy, seiner Schwester, von den Eltern und Brüdern, vom Gartenboy, von uns allen Chinesen sind die Wollfäden.“ Ich bedankte mich sehr. Es war ein merkwürdiges Geschenk, noch merkwürdiger, als ich zuerst dachte. Denn als ich später in Hamburg die Münze mit ihren bunten Wollzöpfen einem Chinakenner zeigte, erklärte er mir, was es damit auf sich hatte.

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Jeder Wollfaden sei eine Stunde des Glücks. Der Koch war zu seinen Freunden gegangen und hatte gefragt: „Willst du von Deinem Glück, das dir das Leben vorausbestimmt hat, eine Stunde des Glücks abtreten?“ Der Ofenboy, der Zimmerboy, der Wäscheboy und ihre Verwandten hatten für mich, für den fremden Deutschen, einen Wollfaden gegeben, als Zeichen, dass sie mir von ihrem eigenen Glück eine Stunde schenkten. Es war ein großes Opfer, das sie brachten. Denn, wenn sie auch bereit waren, auf eine Stunde ihres Glücks zu meinen Gunsten zu verzichten. Es lag nicht in ihrer Macht, zu bestimmen, welche Stunde aus ihrem Leben es sein würde. Das Schicksal würde entscheiden, ob sie die Glücksstunde abtraten, in der ihnen ein reicher Verwandter sein Hab und Gut verschrieben hätte, oder ob es nur eine der vielen Stunden sein würde, wo sie glücklich beisammen saßen; ob sie die Glücksstunde wegschenkten, in der das Auto, das sie sonst überfahren hätte, noch rechtzeitig bremste, oder die Stunde, in der die Tochter vermählt worden wäre. Blindlings und doch mit weit offenen Augen machten sie mir, dem Fremden, einen Teil ihres Lebens zum Geschenk.

Nie wieder habe ich ein solch wertvolles Geschenk bekommen. Diese Münze mit den bunten Wollfäden begleitet mich jetzt 32 Jahre.

Ich habe heute einen Wollfaden genommen, ihn zu den anderen Fäden dazugeknüpft, und gebe ihn symbolisch weiter an meine Leser, mit einer Stunde meines Glücks.

Euer Kadosch

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